Warum ich meinen Kindern eine unbelastete digitale Identität schenken möchte

Warum ich meinen Kindern eine unbelastete digitale Identität schenken möchte:

Es ist kurz vor Weihnachten und eigentlich haben alle nur Geschenke, Essen und Deko im Kopf. In den nächsten Tagen werden wir viele Kinder in süßen Weihnachtspullovern sehen. Nicht nur daheim, als Fotogeschenk oder digitale Postkarte für Verwandte werden sie gern versandt. Warum ich dass sehr kritisch sehe möchte ich dir gern erklären.

Meine Haltung zu Kinderbildern im Netz habe ich bereitsmehrfach dargelegt, unter anderem in meinen Beitrag „Ich habe heute leider Kinderfoto für dich – oder doch?“ der Blogparade von „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht.“


Kinderbilder im Netz: Kannst du damit leben wenn dein Kind bei einem Pädophilen als Wohnzimmerdeko steht?

Ja – diese Frage meine ich sehr ernst. Vor ein paar Tagen bin ich durch den Cyberkriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger (mal wieder) auf eine interessante Doku aufmerksam geworden die im Ersten zu sehen war. Der Titel: „Kinderfotos im Netz: gepostet, geklaut, missbraucht“. Gleich nach den ersten 5 Minuten war mir speiübel. Von Eltern (und größeren Kindern)  gepostete Bilder werden kopiert – damit also geklaut – auf Server in Ländern ohne unser Rechtssystem hochgeladen und dort von Pädophilen „gesammelt“ – so wie Kinder Sticker oder Fußballbildchen sammeln. Nur in einem schockierenden Maß: 10.000 Bilder in einer Nacht – am nächsten Tag sortiert und in Ordner als Wi**svorlage gespeichert. Bei den einen die Jungs, bei den anderen die Mädels.

Vom Schnappschuss zur Wi***vorlage

Der eben noch so harmlose Schnappschuss am Strand, im Bad, im süßen Outfit, mit staunendem offenen Mund: In einer Sammlung eines Pädophilen, aus dem Zusammenhang gerissen, sexualisiert, als Vorlage zur Befriedung. Und da hilft Eltern und Kindern auch keine DSGVO oder das Recht am eigenen Bild: Die Betroffenen ahnen in der Regel nichts davon, dass ihre Bilder im darkweb oder auf Servern von Pädophilen lagern. Bestenfalls werden sie nur als Vorlage zur sexuellen Triebbefriedigung benutzt. In einer Art eigenen Pädo-Netzwerken können auch Informationen zur Herkunft der Bilder ausgetauscht werden. Da findet man dann eben doch sehr schnell zum Ursprung (der elterlichen oder vom Kind betriebenen Instagram-Seite) und spätestens jetzt wird es richtig gefährlich: Wenn der digitale Täter zum Real-Life-Täter werden möchte und seine Triebe im Real-Life mit deinem Kind befriedigen will. Geo-Tags, Hashtags oder auch das Impressum des Elternblogs sind leicht zu finden und damit ist dein Kind im Fokus potentieller Täter.

Kannst du damit leben, dass dein Kind als Wi***vorlage fürTäter dient?

Kannst du damit leben, dass dein Kind so in seiner KiTa,Schule, Verein ausfindig gemacht wird (wann es trainiert, da ist usw.)?

Willst du es Tätern so leicht machen?

Überforderung ist keine Ausrede!

Ich höre selbst oft – und das schildern auch Pädagogen und Eltern betroffener Kinder in dem Video – dass man ja gar nicht die Kompetenz als Eltern habe, das alles zu steuern. Also dass man dem älteren Kind vertraue wenn es etwas bei instagram, tictoc oder snapchat postet. Dass Stories doch so schnell weg sind oder der Status und was soll denn da schon passieren. Ich habe eine Frage: Wie lange brauchst du für einen Screenshot? Richtig: Einmal wischen. Und genau ab diesem Moment verlierst du grundsätzlich die Kontrolle über alles was du sorgfältig oder bedenkenlos ins Web gestellt hast. Wenn du dich nicht kompetent genug fühlst: Bitte bilde dich weiter. Den Führerschein hast du auch gemacht um im Straßenverkehr fahren zu dürfen.

Wo sind die Täter?

Neben den zugänglichen öffentlichen Profilen auf Sozialen Netzwerken sind es auch immer wieder Gruppen wo Eltern unbedacht Bilder ihrer Kinder einstellen. Manch einer glaubt auch, die Bilder löschen sich beim Verlassen einer Facebookgruppe. Als Admin sage ich dir: Nein – das bleibt. Entweder du löschst es bevor du gehst oder es bleibt einfach. Als Admin habe ich nur die Möglichkeit die Kommentare und Postings der letzten sieben Tage eines Mitglieds zu löschen, aber auch nur, wenn ich das Mitglied aktiv entferne. Alles andere bleibt und du hast auch über das Aktivitätenprotokoll (Wer nutzt das eigentlich regelmäßig?) keinen Zugriff mehr auf deine Postings und Inhalte die du von deinem Kind in Gruppen geteilt hast.

Fakten zum sexuellen (offline) Missbrauch

„Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von rund 18 Millionen Minderjährigen aus, die in Europa von sexueller Gewalt betroffen sind. Das sind auf Deutschland übertragen rund eine Million Mädchen und Jungen.Dies bedeutet, dass etwa 1 bis 2 Schülerinnen und Schüler in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt durch Erwachsene betroffen sind.“ So der unabhängige Beauftragte für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs im Berichtüber Zahlen und Fakten 2017. Und hier spielen vorwiegend TäterInnen im sozialen Umfeld der Familie eine Rolle. Aber wie einfach wird das, wenn wir die Inhalte unserer Kinder selbst ins Web stellen und so völlig die Kontrolle abgeben?

Meine digitale Identität 

Ich bin geboren im Jahr 1985 in der DDR – meine Kindheit verlief digital unbelastet. Ich bin sozusagen ein unbeschriebenes Blatt gewesen, bis ich anfing mich in sozialen Netzwerken rum zutreiben. Damals noch über Modem, Kabel quer durch die Wohnung bis zu meinem Rechner. Meine Eltern hatten nicht wirklich eine Ahnung was ich tat, ich auch nicht. Die Möglichkeiten waren da, ich nutze sie ca. seit ich 15 / 16 Jahre bin. Erste Party-Netzwerke, Feierbilder usw. – aber ich habe es immer geschafft den Fotografen im betrunkenen Zustand aus dem Weg zu gehen. 2008 googelte ich mich das erste Mal bevor ich mich für Praktika bei Ministerien bewarb. Ich fand prompt ein Highlight meines Lebens: Ich war Erste im Bierkastenrennen eines Dorfes. Gut: jetzt kann der Personaler der Behörde denken „sie kann schnell laufen“, oder aber er denkt ich bin unseriös und werde gar nicht erst eingeladen zur Vorstellung. Ich habe also vorher meine wirklich wenigen online Quellen bereinigt und es durch die kleine Sicherheitsprüfung in einer staatlichen Behörde geschafft und durfte dann im Pressebereich eines Ministeriums in Thüringen arbeiten.

Und was ist wenn es dein Kind betrifft?

Du merkst selbst: Hier ist es nur ein leichtsinniger Fehler gewesen, er lies sich schnell beheben. Was aber ist, wenn Bilder zweckentfremdet, intime Bilder für den Freund nach der Trennung weiterverbreitet oder die Yoga-Verrenkung des Kindes als Vorlage für ein Kinder-Kama-Sutra auf eine Pädoseite benutzt werden? Oder dein Kind dann noch gefunden wird und im Real-Life missbraucht wird?

Ich bin ehrlich: Ich kann dieses Risiko nicht tragen und daher bei mir weiter keine Bilder meiner Kinder. Auch nicht für Werbezwecke oder die Öffentlichkeitsarbeit von Sponsoren der KiTa. Weil Öffentlichkeitsarbeit heute eben auch immer digitales Streuen bedeutet. Ich möchte meinen Kindern eine möglichst „saubere“ digitale Identität schenken, die sie selbst irgendwann füllen werden. Jedes Zeitungsbild wird digitalisiert als Thumbnail oder Vorschaubild auch in den sozialen Netzwerken vermarktet. Daher halte ich meine Kinder soweit ich es kann da raus. Bis sie selbst bestimmen können möchte ich ihnen so gut ich es kann ein Vorbild sein und überlege auch jetzt bei mir, ob ich damit leben kann, wenn meine Selfies oder Bilder von mir als Wi**svorlage für potentielle Real-Life-Täter verwendet würden.

Forschungslücke zu Kinderbildern im Netz

Der Umgang mit Kinderbildern ist sehr divers, ich habe erst kürzlich einer Studentin der Uni-Wien ein Interview gegeben. Sie sucht noch ElternbloggerInnen für ihre Studie die nach 1980 geboren sind. Sie erforscht den Umgang der Eltern mit Kinderbildern im Netz. Falls du dich angesprochen fühlst: Katharina Hochwarter vom Blog medienkompetenz.at freut sich sicherlich über deine Gründe Bilder online zu stellen, oder sie eben zu verbergen.

Digitaler Konsens bei Verwandten & Freunden?

Ein kleiner Gedanke noch: Ich habe letztens von einer Freundin ein Bild meines Kindes gesendet bekommen nach vier Jahren oder so –ich habe es ihr mal geschickt nach der Geburt – und war sehr irritiert woher sie das Bild hatte. Allein das hat mir mal wieder gezeigt: Nicht alle Menschen haben das gleiche Verständnis von Bildrechten wie ich. Ich lösche mir gesandte Bilder relativ zeitnah. Ich hebe keine Bilder auf, weil es ja nicht mein Kind ist und ich verschenke ja auch keine Kinderbilder von mir an meine Freunde. Ja –das ist nochmal ein ganz anderes Thema, aber es hat mir mal wieder gezeigt, wie unterschiedlich mit den Bildern umgegangen wird: Der eine speichert sie, der andere löscht sie – und was ist, wenn das Handy desjenigen der sie speichert geklaut wird und die Bilder sonstwo landen? Mich hat auch dieser Umstand mal wieder sensibilisiert noch geiziger mit den Bildern meiner Kinder zu sein. Auch bei Freunden – und auch, wenn ich es mal anders gemacht habe, kann ich mein Verhalten ja diesbezüglich ändern. Weil da einfach kein (digitaler) Konsens herrscht.

Mich interessiert natürlich auch deine Meinung und dein Standpunkt. Anfang 2019 plane ich einen weiteren Beitrag zu den online Rechten von Kindern mit einer wirklich klugen Gastbloggerin von „Mami hat Recht“ dazu.

Birgit

Achja: Wenn du Kinderbilder ins Web stellen willst: fang doch bitte immer mit deinen eigenen an. Wenn dir das unangenehm oder peinlich ist: Wie ist es wohl für dein Kind?

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2 Kommentare

  1. Liebe Birgit,
    danke für diesen wirklich wichtigen Beitrag! Ich dachte bei der Überschrift „okay, betrifft mich nicht, ich achte darauf“. Ja, aber dann hast du mir gezeigt, dass es noch mehr Bereiche gibt, wo ich vielleicht nicht darauf achte. Okay, in sozialen Netzwerken und in Blogs landen meine Kinder nicht, zumindest nicht mit dem Gesicht erkennbar. Aber natürlich bekommen Freunde und Familie das eine oder andere Bild geschickt. Und natürlich liegen Bilder auf dem Handy, das mal geklaut werden könnte. Und natürlich gab es schon Zeitungsbilder der Kita und auch die Print-Presse nutzt inzwischen Facebook, was mich sehr irritiert hat. Über die Fotoerlaubnis in Schule und Kita muss ich echt nochmal nachdenken. Ich finde auch, dass jedes Kind ein Recht auf eine unbefleckte digitale Identität hat und wenn die Kinder älter werden, müssen wir Eltern eben auch medienkompetent bleiben/werden/weiter mit der Zeit gehen.
    Ich wünsch dir erst einmal ein schönes Weihnachtsfest,
    viele Grüsse,
    Marlene

  2. Hallo Birgit,
    generell finde ich das Thema sehr wichtig und glaube, dass sich sehr viele Leute damit nicht auseinandersetzen. Das könnte gefährlich werden.
    Andererseits sehe ich das Internet als eine Art eigene kleine Welt, und so wie in der Realität, gibt es auch hier von Gut bis Böse alles.
    Soll heißen, es ist eigentlich nicht der richtige Weg, sich zu verstecken und Angst zu schieben, weil sonst Kriminelle zu Straftaten angeregt werden könnten. Hier brauchen wir in Zukunft eine Cyber-Polizei, die schnell eingreift.
    Als Bloggerin veröffentliche ich hin und wieder mal ein Bild unseres Kindes – mit ihrem Einverständnis. Sagt sie NEIN, hab ich Pech. Es sind meist Bilder im Seitenprofil oder dem Blick nach unten, jedoch sollten wir irgendwann einen YouTube-Channel eröffnen, wird sie ohnehin zu erkennen sein. Ein schwieriges Thema und immer eine Gratwanderung.
    Ich glaube, einen Königsweg gibts da nicht.

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