Das Private ist politisch. #bloggersindbunt | Werte-Debatte

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Ein Beitrag zur Blogparade „Blogger sind bunt“ von #thueringenbloggt

Als meine liebe Bloggerkollegin Karina vom Issdichglücklich-Blog nach dem Wahlsonntag in Thüringen fragte, wie wir mit den Wahlergebnissen umgehen und was man denn nun tun könne, da entstand eine sehr spannende Debatte über Werte in unserem Forum der Blogger*innen von „Thüringen bloggt“ auf Facebook.

Ich bin Mutter von nun drei Kindern zwischen 1,5 und 6 Jahren. Ich mache mir, seit ich meinen Blog betreibe, regelmäßig Gedanken um demokratische Themen. Ob nun über Parteiwerbung im Kinderradio oder zu Elternzeitgeschichten (Ich finde es ein ziemlich wichtiges Thema wie man Elternschaft aufteilt, ob paritätisch oder „rollenbildtypisch“ und welche politisch gewollten Finanzierungsmodelle es so gibt).

Das liegt zum einen an meinem beruflichen Hintergrund als Politikberaterin und jetzt Mitarbeiterin der Fraktion Mehrwertstadt im Erfurter Stadtrat, und zum anderen an meiner Haltung gegenüber meinen Kindern und meinen Werten, die ich an meine Partnerschaft stelle.

Ich muss meinen Kindern Werte vorleben

In den letzten sechs Jahren gab es für mich als Mutter viele Schlüsselmomente wo ich gemerkt habe: Ich kann mein Kind nicht zurechterziehen wie ich es möchte. Ich muss meinen Kindern Werte vorleben und dann werden sie sich an meinem Tun orientieren. Ich kann nicht willkürlich Rahmenbedingungen setzen und davon ausgehen dass meine Kinder diese ohne sie zu hinterfragen einfach umsetzen. Im Gegenteil: Ich hinterfrage selbst in Strukturen aufgestellte Regeln. Wem dient zum Beispiel in der KiTa die Regel, das etwas so, oder so aufgeräumt oder hingelegt werden muss? Wem dient in meinen vier Wänden die Regel, dass dies oder jenes so, oder so umgesetzt wird. Dass wir das Zimmer aufräumen? Für wen ist das eigentlich wichtig? Ich wünsche mir Kinder, die alles infrage stellen und für sich Antworten finden.

Ordnung – ein Wert für alle?

Bevor wir jetzt anfangen darüber zu debattieren ob ein Kinderzimmer jeden Tag aufgeräumt sein muss möchte ich für mich klar stellen: Für mich muss es das nicht. Klar: Ich mag es gern ordentlich und aufgeräumt. In meinem Bereich. Aber meine Kinder? Die spielen, verlieren sich im Sein, interagieren, entdecken, bauen, tun und sind einfach im hier und jetzt. Eine herrlich verantwortungslose Zeit ist das, so eine Kindheit. Also: Warum müssen sie aufräumen? Müssen sie bei mir nicht. Jedenfalls nicht immer ihr Zimmer. Es ist ihr Bereich. Geht mich im Prinzip nichts an. Unser Wohnzimmer hingegen und meinen Küche sind eigentlich immer ziemlich ordentlich. Drei Kinder machen so viel Chaos, da brauche ich diese Inseln einfach für mich.

Kompromissbereitschaft – kindlicher und intuitiver Wert?

Draußen ist es ein ähnliches Spiel: Ich kann doch meinen Kindern keine hightechgedöns Supermatschsachen anziehen und ihnen dann den Spaß im Dreck untersagen. Die lieben das. Einfach mal schön rein in die Pampe. Einfach machen. Etwas, was wir Erwachsenen ganz oft verlernt haben. Kinder haben im Spiel ihre eigene Welt, die ist oft sehr gerecht und meistens sehr nachgiebig. Weil das Spiel fast immer Kompromisse erfordert. Wenn einer immer diktiert was zu tun ist: Dann spielt keiner mehr mit ihm. Dann wenden sich die anderen Kinder einfach einem neuen Spiel zu, oder weisen dem Kind eine neue Rolle zu. Beobachtet das mal. Und dann überlegt mal wie Politik funktioniert.

Werte in der Politik

Ich arbeite seit fast 8 Jahren in der Demokratiearbeit. Ja, es ist Arbeit eine Demokratie am Laufen zu halten. Es erfordert sehr oft Kompromissbereitschaft. Was für mich besonders wichtig ist: Werte und Haltung. Werte, an denen ich das Handeln im politischen (wie auch elterlichen) Kontext fest mache. Werte, die mir wichtig sind. Zum Beispiel das Miteinander auf Augenhöhe. So ist es für mich auch für meine Kinder selbstverständlich, dass sie die gleiche Würde wie ich besitzen. (So wie ich das auch für alle Menschen sehe – egal wo sie herkommen, welche Hautfarbe sie haben, wo sie geboren wurden, wen sie lieben, woran sie glauben. )

Um das im elterlichen Kontext zu betrachten: Ich habe für meine Kinder eine besondere elterliche Verantwortung – nämlich so lange sie minderjährig sind und Entscheidungen noch nicht selbstständig vollverantwortlich treffen können – solange übernehme ich dieses Mehr an Verantwortung. Ihre Würde aber, die ist meiner gleich.

Würde und Verantwortung: Politik versus Elternschaft

So ähnlich ist es mit politischen Vertreter*innen: Sie übernehmen ein bisschen mehr an Verantwortung. Spannend daran ist, dass die Mehrheit der Wähler*innen ihnen diese Kompetenz sogar übertragen hat. Auf Zeit. Meine Kinder müssen viel länger mit mir klar kommen und haben sich nicht mal ausgesucht, dass ich für sie Verantwortung übernehme und letztendlich auch vieles über ihren Kopf hinweg bestimmen kann und manchmal muss.

Meine Glaubenssätze und Werte

Was ich mir aber wünsche: Kinder, die irgendwann Menschen werden, die eigenverantwortlich handeln. Die hinterfragen und alles infrage stellen. Kinder, denen Werte wie Mitmenschlichkeit, Achtung, Frieden, Gleichheit, Würde, Nächstenliebe, Gewaltfreiheit und viele mehr ähnlich wichtig sind, wie sie es mir sind. Diese inneren Glaubenssätze kann ich nicht in meine Kinder, kann kein Mensch in andere hineinerziehen. Das ist schlicht unmöglich. Das geht nur mit innerer Haltung und Vorleben der eben genannten Werte. Ich muss selbst das Werte-Vorbild für meine Kinder sein. Den Sog zu erzeugen der meine Mitmenschen und Kinder mitnimmt, für den bin ich verantwortlich. Dann werden sie meine Werte vielleicht auch leben. Ich muss meine Kinder nicht abhärten, ihnen ihre Rangordnung zeigen oder sie durch emotionale Kälte auf den Ernst des Lebens vorbereiten.

Als Mutter (respektive Eltern) bin ich ihre Werte-Basis. So wie ich mit ihnen umgehe, das wird ihre innere Stimme. Ich werde möglichst wertschätzend mit ihnen umgehen (und nein, das gelingt mir nicht immer, auch ich bin müde, habe Hunger, bin gestresst oder genervt und werde dadurch ungerecht, weil ich mit meinen Bedürfnissen vielleicht gerade nicht im reinen bin). Aber es muss mein Anspruch sein, das stets zu versuchen.

Ich muss selbst das Werte-Vorbild für meine Kinder sein.

Mein Anspruch bleibt der Kontakt mit meinen Kindern auf Augenhöhe. Wie in der Politik auch: Der Diskurs, die Debatte oder der Kompromiss auf Augenhöhe. Wertschätzung im Miteinander und die Bereitschaft Lösungen für alle zu finden, das ist glaube ich die höchste Kunst.

Meine Zweifel an den Werten der Gesellschaft

In den letzten Monaten hatte ich mehrere Momente, da habe ich stark an den gelebten Werten der Gesellschaft gezweifelt. Zum Beispiel, als kurz vor der Wahl in Thüringen ein Wahlhelfer der Grünen (erkennbar am T-Shirt und Wahlstand) mit einem Lastenrad an mir vorbeifuhr und ein ca. 10 Jähriger Junge zu seinem Vater brüllte:

„Ihhhhhhh gugg mal ein Grüner!

– beide lachten abfällig.

Fassungslosigkeit über Herabschätzung

Ich stand daneben wie gelähmt. Fassungslos ob dieser Herabwürdigung von politischem Engagement im Ehrenamt. Fassungslos auch über die ungenierte öffentliche Aussprache mitten in der Marktstraße in Erfurt. Fassunglos über die Diffamierung aufgrund einer Zuordnung über äußere Merkmale (T-Shirt mit Logo der Grünen). Was muss denn da alles schon an abfälligen Kommentaren im Elternhaus gegenüber politischem Engagement gefallen sein, dass selbst ein Kind schon offen so herabschätzend redet?

Dränge ich meinen Kindern meine Sicht auf?

Und ich frage mich im Gegenzug, ob ich, wenn ich meinen Kindern das Buch von Kaptin Rakete vorlese (Werbung ohne Auftrag, selbst bezahlt), sie nicht auch indoktriniere. Ich habe lange darüber nachgedacht und finde, dass es ein wunderbares Buch über Werte wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und das friedliche Miteinander ist. Allein dass der Opa dieses Buch voller Freude den Enkeln vorliest und wir hinterher angeregt über Seawatch und die Rettung von Menschen in Seenot reden zeigt mir, dass es sich bei diesem Buch nicht um vorgefertigte Thesen und Bilder handelt die ich meinen Kindern in den Kopf versuche zu pflanzen, sondern um Werte, die eigentlich für alle klar sein sollten.

„Werte, die eigentlich für alle klar sein sollten.“

Umweltbewusstsein – ein Wert zum drüber lustig machen?

Silvester hatte ich noch so einen Moment: Ich lief durchs Dörfchen mit den Kindern und mehrere Erwachsene unkten zu ihren Kindern beim Feuerwerk: „Danke Greta. Ja das haben wir alles der Greta zu verdanken. Höhöhöhö.“ Oder zu einem anderen Menschen: „Du hast doch grün gewählt, du darfst gar kein Feuerwerk zünden! Höhöhöhö.“

Ganz ehrlich: Wann ist es eigentlich en vogue geworden sich über Menschen lustig zu machen, die sich einen verdammten Kopf um die Umwelt – und ja: auch über die umweltschädlichen Aspekte von Silvester machen? Umweltbewusstsein ist ein Wert, über den wir sehr dankbar sein sollten. Zumindest, wenn uns unsere Kinder und Enkel etwas bedeuten und wir ihnen diese Erde nicht komplett verwahrlost überlassen wollen.

Wertschätzung der Umwelt

Mir geht’s jetzt hier mitnichten darum eine Debatte über das für und wider von Feuerwerk aufzumachen. Trotzdem habe ich die Mehrzahl dieser Menschen vermisst am Neujahrstag, als wir ihren Dreck von den Feldern gesammelt haben. Es liegen immer noch Böller, Flaschen und Batterien zwischen den zarten Pflänzchen, die mal Tiere oder uns Menschen ernähren sollen. Das ist schon ärgerlich. Würde man die Verbundenheit zur Natur als Wert haben, dann ginge man als Mensch doch so nicht mit ihr um. Das ist wenig wertschätzend. Sowohl dem Bauern gegenüber, den Lebewesen im Allgemeinen und eben auch den Menschen, die sich für die Natur und deren Schutz einsetzen.

An diesem Punkt will ich zum Ende kommen. Es ist egal ob Naturschutz oder das Miteinander aller Menschen auf Augenhöhe. Ich wünsche mir eine ehrliche Debatte über Werte. Eine Debatte darüber, wie wir Menschen miteinander zusammenleben wollen. Man kann das mit Kindern sehr schön und einfach besprechen: die finden sofort Regeln wie eine Gruppe miteinander klar kommen soll. Denn wer diktiert und nicht alle einbezieht, ist hier ganz schnell der Spielverderber / die Spielverderberin – glaubst du etwa, man würde so jemanden als Vertreter*in wählen? Eher nicht.

Das Private ist politisch.

Steile These, ich weiß. Aber es ist doch so. Ein paar Beispiele: Die Werte, nach denen ich lebe, sind politisch. Wo ich einkaufe ist politisch. Discounter oder Bio-Laden – das ist eine bewusste, und manchmal eine von monetären Faktoren geprägte Entscheidung. Nämlich dann, wenn ich gern Bio konsumieren würde, und es mir aufgrund eines prekären Jobs aber gar nicht leisten kann das teure Gemüse und Fleisch für meine Familie zu kaufen. Wenn ich mir die kostenintensiven, fair produzierten Klamotten nicht leisten kann, weil ich vielleicht alleinerziehend bin und es dann nicht mehr für alle reichen würde und ich deswegen „fast-fashion“ kaufe – von Kindern für Kinder.

Ein Feuerwerk ist hochpolitisch: Jeder weiß um den Feinstaub, jeder weiß um die teils lebensgefährlichen Bedingungen unter denen Feuerwerk produziert wird. Spielzeug für Kinder ist politisch: Auch hier gibt es die Variante von Kindern für Kinder oder eben fair, ökologisch dafür preisintensiver. Das sind alles Entscheidungen, die wir beeinflussen können. Maßvoll gebrauchte ökologische Qualität geht ja auch – und ist dann vielleicht der Kompromiss in der Mitte.

Erziehung ist politisch.

Erziehung oder eben auch das „nicht erziehen“ ist politisch. (Hierzu sei auf den unfassbar guten Blog „Geschichte der Säuglingspflege“ verwiesen. Ja, selbst der Umgang mit Säuglingen ist politisch weil es um Werte geht. Dem Baby zu vermitteln: Ich bin bedingungslos für dich da. Deine Bedürfnisse nach Nähe, Sicherheit und Nahrung werden umgehend erfüllt. Das sind Haltungen. Ein Baby nicht schreien zu lassen ist eine Haltung und der Wert ist Sicherheit und Geborgenheit. Wer außer uns Eltern sollte denn die Bedürfnisse vom Baby sonst erfüllen? Es kann sich nicht wickeln, sich nicht am Kühlschrank versorgen und eine Milch holen. Es braucht Bindungspersonen auf die es sich verlassen kann. Weit bis ins fortgeschrittene Kindesalter hinaus braucht ein Kind diese Werte-Basis. Nur dann wird es in sich ruhen und selbst Werte leben können und dafür einstehen.

Ähnlich ist es mit der Politik. Bürger*innen brauchen Werte geleitete Politiker*innen auf die sie sich verlassen können, dass diese zum Wohle der Menschen handeln. Und sie brauchen ein wertschätzendes Maß an Beteiligung und Beziehungspersonen, auf die man sich verlassen kann. Die zum Wohler der Menschen handeln. Werte geleitet. Diese Werte und Haltungen sollten jederzeit transparent nachvollziehbar und vor allem selbst gelebt sein. (Von denen die sie einfordern und von denen, die sie gewählt vertreten dürfen.)

Welche Werte erwarte ich?

Ich erwarte von allen Menschen, denen man politische Verantwortung auf Zeit übertragen hat, wertebasierte & humanistische Entscheidungen. Die Werte, die ich meinen Kindern vorlebe, diese Werte werden sie wohl verinnerlichen und vielleicht später als die ihren umsetzen. Die Guten wie die weniger Guten. Das ist meine elterliche Vorbildfunktion, meine unfassbar große Verantwortung, die ich mir jeden Tag bewusst mache. (Und der ich es nicht immer schaffe, gerecht zu werden!) Und genau diese Verantwortung tragen politisch aktive Menschen für die Gemeinschaft. Als gewählte Vertreter*innen erst recht.

Was erwartest du denn von politischen Vertreter*innen oder der Gemeinschaft in der du lebst? Was sind denn deine Werte, für die du einstehst?

Birgit – die Provinzmutti

#bloggersindbunt – dieser Beitrag gehört zu Blogparade von thueringen-bloggt.de

(P.S.: Mir ist der Begriff bloggersindbunt von Anfang an zu unscharf. Das liegt vielleicht daran, dass ich keine Lust mehr habe nur noch bunt zu sein. Ich habe Werte. Bunt ist für mich kein Wert. Vielfalt ist einer. Mitmenschlichkeit. Wertschätzung. All das eben. Aber #bloggersindbunt ist nunmal der Kompromiss unserer Community – und das akzeptiere ich bedingungslos und bin nicht beleidigt oder abfällig, weil ich es vielleicht anders entschieden hätte, wäre ich allein verantwortlich gewesen. Meine Argumente haben nicht so überzeugt und das ist ok. Ich danke Karina für den Impuls und all unseren Blogger*innen für ihre vielfältigen Beiträge zur Debatte der Blogparade. )

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