Mein Milchmädchen war gerade vier Wochen. Es war ein Tag im Oktober und es fiel der erste Schnee. Ich hätte ahnen müssen, dass der Tag kein guter würde. Es war am Nachmittag, ca. 14.30 als ich mich fertig machen wollte um in die KiTa zu meinem ersten Elternbeirat nach der Entbindung zu fahren. Eigentlich ging es mir gut, meine Erkältung war endlich weg, die gröbsten Wunden durch und das Leben floss so langsam vor sich hin. Bis es Nachmittag war. Ich flitzte fix die Treppen hoch um einen etwas tauglicheren Rock zu hoen – yeah wieder eine Größe kleiner – dachte ich. Unten angekommen bekam ich plötzlich unglaubliche Krämpfe. Okay – zu früh gefreut, der Rock vielleicht doch noch nicht. Zu schnell die Treppen hoch und runter? Nein. Erstmal kurz lang legen. So verging ca. eine Viertelstunde bis ich mich entschloss meine Hebamme anzurufen um mal zu fragen was das sein könnte.
„Ruf sofort die Rettung an – mit dir stimmt was nicht!“
Zu diesem Zeitpunkt ging es mir schlecht und ich habe, bis ich sie endlich an der Strippe, hatte noch den Elternbeirat abgesagt. Ich stöhnte ins Telefon und konnte mich vor Krämpfen kaum mehr auf den Beinen halten. Ich wusste mein Mann ist mit dem Sohn gerade einkaufen und würde bestimmt das Handy nicht mitbekommen. Meine Hebamme hörte mich und ich brachte kein Wort mehr heraus und zwischen den Krämpfen zichte ich einige Hilfe Rufe und fluchte was der verdammte Scheiss mit meinem Körper soll. Ich lag zu diesem Zeitpunkt bereits am Boden im Wohnzimmer. Meine Hebamme riet energisch die Rettung zu alarmieren. Ich habe angerufen und sie meinten sie schicken sofort jemanden. Ich solle einfach liegen bleiben. Mein Baby hatte ich neben mich gelegt, sie war schon warm angezogen, wir wollte ja eigentlich los. Ich habe ihr noch eine Brust ausgepackt – ich hatte Angst ohnmächtig zu werden und habe ihr die einfach vor die Nase gelegt, falls sie Hunger hat, dass sie trinken könnte. Dann habe ich am Boden liegend versucht den Papa zu erreichen. Der Handyempfang funktioniert nur im Fenster im Erdgeschoss, also irgendwie dahin geschleppt, angerufen und zu verstehen gegeben, dass die Situation ernst ist, die Rettung kommt, und ihnen aber jemand die Hoftür aufmachen müsste. Mein Mann lies alles stehen samt Korb und machte sich auf den Weg. Er war eher da als der Rettungswagen, der hatte sich verfahren (Verdammte Provinz!) und die Leitstelle rief an und wollte genau wissen wo sie hin müssen. Ich lag am Boden, das Baby neben mir, mein Mann kam mit Sohnemann auf dem Arm herein und lief sofort heraus um die Rettungsleute zu uns zu lotsen. Sie kamen, ich konnte ein wenig klarer denken. Ich wurde abgetastet und es hieß sofort ab ins Krankenhaus. Mein Sohn erzählte vom Schnee und dass die Männer ihre Schuhe nicht ausgezogen haben und der Boden ganz nass sei.
„Wir nehmen Sie umgehend mit in die Klinik, das Baby kann später nachkommen!“
Das Baby musste versorgt werden und das Kleinkind auch kreiste es in meinem Kopf wirr herum. Gestützt und ohne mein Baby brachten sie mich in den Krankenwagen. Zum ersten (und hoffentlich letzten) Mal fuhren wir mit Blaulicht los. Es fühlte sich an wie Wehen, mitten im Bauch, nur ohne Pause und ohne Intervalle. Nichts was man wegatmen kann oder was einen zwischendrin Kräfte sammeln lässt. Keine tollen Hormone und körpereignen Opiate die mich durch den Schmerz tragen. In der Klinik angekommen brachte man mich in den Gang auf der Liege. Ich lag zwischen vielen anderen (…erster Tag mit Schnee – also entsprechend viele Unfälle…) Menschen und wartete gekrümmt was passiert, was ich habe, wann mein Baby kommt und was der ganze Mist soll. Allmählich wurde es besser – ich lag aber auch schon zwei Stunden. Mein Baby noch nicht in Sicht. Ich habe jede Schwester gefragt, ob mein Baby mit Mann da sei, das Kleinkind wurde von Oma versorgt. Alle verneinten und ich fing langsam an an mir und der Gesamtsituation zu zweifeln. Dann kam endlich mein Mann nach 2.5 Stunden mit dem Baby und er wäre fast an der Tür wo ich lag vorbeigelaufen auf der Suche nach mir (…ihm konnte keiner helfen, weil keiner wusste wo ich war…) und ich habe seine Schuhe erkannt und bin mit letzter Kraft von der Pritsche gesprungen und habe sie zu mir gerufen. Und dann hab ich erstmal das Milchmädchen gestillt. Irgendwann hatte die Ober-Internistin dann endlich Zeit und schaute mich an, untersuchte die Gallenblase und konnte nichts entdecken, was diese heftigen Koliken (da waren sich alle einig) ausgelöst haben könnte. Ich zweifelte weiter an meinem Verstand und wir vereinbarten, da nichts gesehen wurde, dass ich heimgehe. Ich bekam Krampflöser (Buscopan) und Schmerzmittel (Ibuprofen und Paracetamol) mit.
Befundsuche for the win
Am nächsten Tag ließ ich einen befreundeten Internisten einen erneuten Ultraschall machen, auch er sah nichts. Es ging mir insgesamt beschissen aber keiner wusste warum. Am dritten Tag nach den Koliken bemerkte ich im Tagesverlauf, dass sich meine Augen gelb verfärbten und meine Ausscheidungen ziegellrot bzw. weiß wurden. Da wir unseren befreundeten Internisten nicht erreichten blieb ich erstmal daheim. Mein Kleinkind kam fiebernd aus der KiTa und ich legte mich mit ihm ins Bett. Wir kuschelten eine Stunde und dann meinte mein Mann, sein Freund hätte gesagt wir sollen sofort ins Krankenhaus fahren, vermutlich würde meine Leber beschädigt sein. Also das Kleinkind bei Oma abgegeben (ein Hoch auf das Mehrgenerationenhaus!) und gegen 18.00 Uhr in die Klinik. Ich wurde sofort aufgenommen und bin stillend zur Ärztin ins Zimmer gelaufen. Da es mir außer den Verfärbungen soweit ganz gut ging, dachte ich, ich bekomme irgendwas und kann heim. Naja das hat nicht geklappt. Mein Körper hatte hohe Entzündnungswerte die auf eine Leber- und Bauchspeicheldrüsenentzündung hinwiesen. Es kam zum dritten Ultraschall der Galllenblase. Die junge Ärztin freute sich, endlich mal eine frisch entbundene Frau schallen zu können „um mal alles innen zu sehen wie es dann aussieht“ und entdeckte tatsächlich Gallensteine. Viele kleine beschissene Gallensteine. Einer von denen hatte sich vermutlich auf Wanderschaft begeben und blockierte irgendwo irgendwas.
„Sie werden sofort abstillen müssen!“
Ich wurde stationär aufgenommen und das erste Mal fiel das Wort „OP“ in Zusammenhang mit „Abstillen“. Ich habe direkt interveniert. Ein weiterer junger Chirourg meinte, „na aber mindestens zwei Wochen nicht stillen“. Ich sagte ihm, dass Frauen nach einem Kaiserschnitt auch stillen dürfen. Der Chirourg sagt „Aber die haben ja auch noch kaum Milch, Kolostrum ist keine richtige Milch.“ Das warten wir erstmal ab sage ich und fluche innerlich über seinen mangelnden Fortbildungsstand. In meinem Zustand mit den Entzündungen würden sie sowieso nicht operieren, die Entzündungen müssen zuerst weg, da sei die Galle das kleinere Übel. Es war also Freitag und ich musste nun mit Baby in die Klinik, wo ich nie im Leben entbinden wollte. Auf der Mutter-Kind-Station wollten sie mich nicht. Ich kam auf eine „Da parken wir Frauen mit Kindern und Babys Station die ihre Kinder nicht bei ihren Männern daheim lassen wollen“-Station. Ob ich nicht die Flasche geben kann wurde ich von irgendwem gefragt. Ich verneinte. Mein Baby bleibt an meiner Seite. Wenn etwas ist, kommt der Papa. Ja die Schwestern können sich nicht um einen Säugling noch nebenbei kümmern. Brauchen Sie auch nicht, denke ich und richte mich ein mit dem Baby. Trubel auf Station, wo zum Abend ein Babybett hernehmen? Ich brauche keins, das Baby schläft bei mir im Bett. „Da muss ich Sie aber darauf hinweisen, dass Sie es ersticken können!“ Ja vielen Dank, ich unterschreibe auch gern, dass ich das auf eigene Verantwortung mache. Mein Mann geht irgendwann gegen Mitternacht. Ich frage noch wo ich das Kind wickeln kann. Nicht auf dem Tisch, zu unhygienisch, nur im Bett. Diese Logik verstehe wer will. Mir war es egal. Ich bekam eine Schüssel zum Waschen. Perfekt dachte ich, da kann ich sie hier abhalten und muss nicht im Gemeinschaftsbad (vier Frauen ein Bad mit Zugang von zwei Seiten) abhalten, sondern kann das gleich im Bett machen. Waschen geht auch ohne Schüssel. Dem Milchmädchen waren die äußeren Umstände egal, hauptsache bei Mama und im Sling waren wir in der Klinik sowieso unzertrennlich. Mein Sohn kam mich besuchen uns brachte Knete mit. Es ging mir etwas besser und die Werte besserten sich. Montag ordnete plötzlich ein Arzt eine Gallengangspiegelung an. Ich sagte da müsse er schon konkret eine Zeit sagen, damit mein Mann kommen kann und das Baby nimmt. Das Kleinkind war ja auch krank mit ihm daheim. Also musste die Tante aus dem Nachbardorf kommen und er hat nicht schlecht geschaut, als nicht der Papa zum Aufwachen nach dem Mittagsschlaf da war, sondern die Tante. Glücklicherweise ist er ein in sich ruhender und geselliger Zeitgenosse und hat das gut gemeistert und nicht geweint, als auf einmal weder Mama, noch Papa, noch Oma und Opa da waren. Ich wurde unterdessen gespiegelt und legte sofort danach mein Baby an. Da das alles etwas gedauert hat, war mein Mann froh als ich da war und sie wieder anlegen konnte. Ich hatte vorher für den Notfall abgepumpt.
Hoch lebe Embryotox!
Plötzlich kam eine Schwester und fragte ob ich stillen dürfe. Ich sagte ja, sonst hätte man mir das schon gesagt, da ich um stillfreundliche Medikation gebeten hatte. Sie ging und kam mit einer Herde Ärzt zurück dir mir rieten das Baby sofort von der Brust zu nehmen und erst nach vierundzwanzig Stunden, mindestens aber acht bis vier Stunden nicht zu stillen. Ich zückte mein Handy, erfragte vorher den genauen Wirkstoff, und schaute bei Embryotox.de nach. Dort stand, dass ich mit Propofol sofort wieder stillen kann. Ich diskutierte und fluchte und mein Mann gab angeleitet von einer Schwester im Nachbarraum dem Baby die vorher abgepumpte Milch, die es spärlich trank, es wollte Mama und wir alle drei wollten keine Flasche für´s Milchmädchen. Und dann stand ich da, heulend, wütend, fluchend, verwies auf die Kollegen der Charité in Berlin und diese Ärzte sagen zu mir: „Wir kennen Embryotox.de, wir haben aber eigene Richtlinien, und die besagen 24 Stunden nicht stillen.“ Ich sammle mich und erkläre ruhig, zumindest so ruhig ich es in dieser Situation frisch entbunden, in einer Klinik wo ich nicht sein will, mit Schmerzen einer Spiegelung und immer noch gelb von der Lebergeschichte, dass ich mein Kind stille, wenn Embryotox grünes Licht gibt. Vermutlich bin ich auch hysterisch. Man(n!!!) möge mir verzeihen. Sie sagen, dass sei meine Entscheidung, sie machen einen Vermerk und eine Schwester würde stündlich kontrollieren ob das Baby noch lebt (ja genauso haben sie es gesagt!). Ich telefoniere nochmal mit meiner Hebamme (das hätten die mit ihren Klinikhebammen auf der Nachbarstation auch machen können!!!) und sie beruhigt mich, dass ich stillen kann. Ich stille das Baby und wir werden die ganze Nacht mehrmals angesprochen um zu sehen, ob das Baby noch lebt. Was für eine unnütze Aufregung. Wenn etwas in mir nicht mehr wirkt – wie soll es dann in mein Baby kommen? Propofol zerfällt sofort und wird minutengenau durch die Anästhesisten dosiert. *Wusa* Bald bin ich daheim! Zwei Tage später um genau zu sein. Mit OP-Termin in vier Wochen, die Gallenblase muss raus.
In Teil 2 beschreibe ich die Tage kurz vor und nach der OP, und wie wir uns darauf vorbereitet haben. Immer in enger Begleitung meiner Hebamme – der ich sehr dankbar bin für diese Unterstützung!