Vom Ankommen

Als wir in Erfurt ankamen wussten wir noch nicht ob wir bleiben sollen oder wo es in wenigen Monaten vielleicht hingehen würde. Wir wollten eigentlich nur die Elternzeit hier verbringen. Dann sind wir geblieben. Langsam, jetzt nach vier Jahren, fühle ich mich „richtig“ angekommen.

Zwischenstopp Erfurt?

Als wir Ende 2013 im November beschlossen nach Erfurt zu ziehen war der Löwenjunge gerade halbwegs als Menschenkind auf dieser Erde angekommen. Das Wochenbett war vorbei, ich ging bereits wieder arbeiten, der Mann war in Elternzeit. Wir wollten für eine Weile im Gemeinschaftshaus wohnen, zusammen mit Oma und Opa. Platz gab es da genug. Wir zogen im Dezember ein, es war Nikolaus, ich war auf Dienstreise mit dem Baby und Papa musste daheim alles wuppen mit Freunden und Verwandten. Im Sommer darauf beschlossen wir vorerst zu bleiben, die Wohnsituation war nicht perfekt aber vertretbar. Mit der neuen Schwangerschaft vom Apfelmädchen mussten neue Lösungen her. Mitten in Winter begannen wir also neue Lösungen zu bauen. Wir begannen einen Zweijährigen Umbau bei voller Bewohnung durch zwei Familien mit einem Kleinkind und einer Schwangeren, genannt Hormonella aka Provinzmutti.

Umbau & Sanierung mit Baby & Kleinkind – der Tag hat nur 24 Stunden

Wir wollten gern das werden, was man landläufig als ’sesshaft‘ bezeichnet. Es begann eine Phase die von uns alles abverlangte: Ein Umbau zum „Mehrgenerationen-Haus“ bzw. Gemeinschaftshaus, bei durchgängiger Bewohnung. Erst der Ausbau eines ca. 200 Jahre alten Dachbodens in mehrheitlich Eigenregie, Umbau der Außenanlage, Erneuerung nach Denkmalschutzvorgaben, Geburt des Apfelmädchens und einer Raum-für-Raum-Sanierung von zwei Etagen. Der Mann studierte nebenbei zur Arbeit und der Umbaudurchführung. Ich hatte die Schwangerschaft / Wochenbett und Babyzeit mit Baumaterialplanung, Finanzplanung und Inneneinrichtung sowie permanente Kindersicherung der Wanderbaustellen im Haus. Ich kenne hier alle Lieferdienste persönlich- weil ich einfach alles bestellt habe für den Umbau – vom Kühlschrank bis zum Bit. Und dann war danatürlich noch meine Selbstständigkeit. Phasenweise wussten wir wirklich nicht wie wir das alles stemmen sollten. Zeit für Hobbies oder Freunde, soziale Dinge, also alles was Leben ausmacht neben wohnen, die Zeit hatten wir nicht. Klar, wir treffen andere Eltern in der KiTa oder auf dem Spielplatz – und die schätze ich auch sehr, aber dieses „Ankommen-Gefühl“ das stellte sich bei mir nicht ein. Mir fehlten meine Freunde aus der Heimat. Mir fehlten meine Freundinnen aus dem Verein wo ich viele Jahre getanzt habe. Ich hatte ja nicht mal Zeit für Sport, weil ich zu jedem Angebot fahren müsste und mir schlicht die Zeit fehlt umherzugurken, Parkplätze zu suchen usw. (ja das ist auch eine kleine Ausrede, aber ich hasse Joggen, bzw. alles was man allein so machen kann). Mal eben aufs Rad setzen und fix zum Sport oder Tanzen gehen – das fehlt mir auch immer noch. Das ist einfach nicht drin, hier so am Rand von Erfurt – für mich aber lieb gewonnene Heimat und Provinz. Dinge mit denen man sich arrangiert. Ich bin froh wenn wir nicht vergessen einzukaufen und nochmal wegen irgend welchen Kleinigkeiten los müssen mit dem Auto…

Die Kinder forderten uns und füllten viel Platz. Da blieb mitunter einfach keine Zeit nachzudenken, was uns fehlte. Natürlich erfüllen Kinder auch – aber der Kontakt zu Erwachsenen mit denen man ‚abhängen‘, feiern oder was zusammen machen kann – dafür fehlte uns schlicht die Zeit. Der Ausgleich eben zu dem wirklich erfüllenden Leben als Eltern. Dazu dieser Baustress, Beruf/Selbstständigkeit, Weiterbildung und Elternschaft. Ich meine, wir hatten zwei kleine Kinder und unsere Nächte waren weit entfernt davon erholsam zu sein und zur Regeneration oder Ausgleich beizutragen. Ob meine Erkrankung der Galle nun mit dem ganzen Stress damals zusammenhing kann ich nur vermuten. Wenn man ein Ziel vor Augen hat vergisst man mitunter wie weit man zu gehen eigentlich nur im Stande ist. Aber der Körper belehrt einen schon irgendwann.

aus wohnen wird leben

Ich kann nach vier Jahren langsam sagen: Ja, wir leben in Erfurt.

Das „Ankommen“ und „Freunde finden“, das dauerte einfach länger. Wir haben wieder Zeit für Hobbies. (Ganz optimistisch glaube ich daran, dass es auch mit dem Sommerbaby 2018 so bleiben wird). Wir haben Menschen kennen gelernt, gehen auch mal wieder weg, gehen zu den Dorffesten (da steh ja vor allem ich drauf – und ich freu mich, wenn ich endlich auch mal wieder mit trinken kann – also nicht nur rote Brause). Das „Ankommen“ ist für mich mehr als nur hier zu wohnen, meine Kinder groß zu ziehen und im selben Haus jeden Abend einzuschlafen und aufzuwachen. Ich quatsche mit den „alten“ und „jungen“ Leuten im Dorf, man grüßt sich aus dem Auto, wir bringen uns ein, man hilft sich gegenseitig. Wenn wir herum laufen gibt es immer „Zaungespräche“ mit Menschen, die wir immer besser kennen lernen. Die Kinder kennen ihre Umgebung und sie sind eben auch größer, so dass wir wieder mehr Freiheiten haben. Das Wichtigste ist aber, dass die Zeitkontingente für Bauen und Weiterbildung stark geschrumpft sind. Manchmal sitzen wir auch einfach nur da, und fragen uns, wie wir das Pensum der letzten Jahre schaffen konnten.

Das ist für mich „Ankommen“. Einfach leben und nicht nur wohnen.

 

Birgit

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